Auf den Spuren von Erhard Weigel

In zwei Ausstellungen begegnet man in Jena dem Mathematiker, Astronomen, Pädagogen, Philosophen und Erfinder des 17. Jahrhunderts Erhard Weigel, der 1653 als Mathematik-Professor an die dortige Universität berufen worden und dort auch zeitweise Dekan und Rektor war, dazu aber auch Oberbaudirektor und Kaiserlicher Rat. Mit astronomischen Entdeckungen trat Weigel nicht in Erscheinung, was ihn zu einem „important largely unknown astronomer“ gemacht hat, um so mehr aber als Lehrer, Erfinder und … wohl auch Urgroßvater des modernen Planetariums: Davon finden sich höchst faszinierende Spuren in weit verstreuten Fachveröffentlichungen, auf den Webseiten seines ‚Fan-Clubs‘ und den beiden Ausstellungen.

Eine befindet sich im Collegium Jenense, einem Ex-Kloster, in dem 1558 die Universität Jena gegründet worden war, wo Weigel Mitte des 17. Jh. die erste lokalisierbare Sternwarte der Stadt eingerichtet hatte und das hier fast senkrecht vom Jentower zu sehen ist.Die Ausstellung „Universitätsalltag im Collegium Jenense“ im Eingangsbereich des heutigen Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin des Universitätsklinikums widmet Weigel eine Vitrine, die nach ihrer ‚Entdeckung‘ bei einer Stadtführung zu weiteren Recherchen Anlass gab.

Ganz so hat das Collegium damals nicht ausgesehen: Dieser Kupferstich vermutlich aus dem Jahr 1661 zeigt einen aufwändigeren und idealisierten Umbauplan Weigels für den Bereich um den – wie im Foto zu erkennen heute noch erhaltenen – Torbogen mit einer großen Beobachtungsplattform darüber, auf der ein Astronom mit seinen Studenten dargestellt ist. Die hat es aber wirklich gegeben, im 18. Jahrhundert durch einen Beobachtungsturm am selben Ort ersetzt. Seit dem Internationalen Jahr der Astronomie 2009 erinnert eine Gedenktafel an Weigels vier Jahrzehnte währendes Wirken an dieser Stelle: Bis 1670 wohnte er auch im Torbogen und betrieb dort vermutlich auch eine Werkstatt.

Über Jena hinaus machte sich Weigel einen Namen mit der mutmaßlich ersten Sonnenfinsternis-Karte 1654 und vor allem als Kämpfer für einen einheitlichen (quasi gregorianischen) Kalender – und für völlig neue Sternbilder! Insgesamt 18 seiner „heraldischen Himmelsgloben“ mit Konstellationen aus den Wappen von europäischen Fürsten und Stadtrepubliken (S. 232-9) sind noch erhalten: Die Ausstellung im Collegium zeigt eine Kopie aus dem Jahr 2007, die besser betrachtet werden kann (die beiden Bilder oben) als eines der Originale, das hinter Plexiglas im Stadtmuseum Jenas gezeigt wird. Durch Beleuchtung von innen fallen zahlreiche Sterne als Bohrlöcher auf: Alle Exemplare – viele weitere sind z.B. hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier als Bild 5 zu sehen – waren gelocht und hatten wohl im Süden einen Einblick zum Betrachten der künstlichen Sterne. Spekulationen über eine Nutzung als Projektoren für Sterne in eine Kuppel scheinen aber müßig: Dazu hätte es einer damals nicht verfügbaren sehr hellen Lampe in der Mitte bedurft.

Trotzdem mag Weigel als Erfinder eines Vorfahren des modernen Planetariums gelten, denn neben den heraldischen Himmelsgloben schuf er auch mehrere große begehbare Hohlgloben, die er „Pancosmos“ nannte und denen – sehr schematisch und stark verkleinert – dieses Exponat im Stadtmuseum nachempfunden ist: Es war für eine der Ernestiner-Ausstellungen im Jahr 2016 angefertigt worden und ist in diesem Video in der 39. Sekunde zu sehen.

Viele Sterne hat man nicht hinein gebohrt – aber ganz anders war das bei den mindestens drei gewaltigen Exemplaren, die Weigel anfertigen ließ, von denen zwei in diesem Paper ausführlich diskutiert werden (ein kostenloser JSTOR-Account lohnt sich) – und die alle spurlos verschwunden sind. Einen Pancosmos von geschätzten 5½ Metern Durchmesser hatte er 1661 auf das gerade umgebaute Stadtschloss setzen lassen, mit Sternen bis zur 3. Größe, dazu beweglichen Planeten und einer Erdkugel mit aktiven Vulkanen und mehr im Zentrum (daher das „Pan“ in Namen: der ganze Kosmos in einem Modell). Das bemerkenswerte Gerät setzte er wohl auch für Vorlesungen ein, aber aus statischen Gründen musste es 1692 leider wieder weichen – und 1905 auch das Schloss selbst, das dem heutigen Hauptgebäude der Universität Platz machte. Einen zweiten Pancosmos – möglicherweise sogar 10 Meter groß und noch komplexer – schuf Weigel 1696 für den dänischen König: Darüber ist eine detaillierte Beschreibung erhalten. Und ein dritter ging wohl an den Kaiserhof in Wien: zu großen hohlen Himmelsgloben siehe auch einen Artikel aus dem Planetarian und die Proceedings des 7. Weigel-Kolloquiums (S. 241-3), zur Globologie generell Artikel der Leopoldina und aus Monumente und zu Weigels Leben und Wirken die 180-seitigen Proceedings eines Kolloquiums zu seinem 300. Todestag.

Bliebe noch ein weiteres verschwundenes Gebäude aus Weigels Zeit zu erwähnen: sein 1670 fertiggestelltes Wohnhaus voller kurioser Erfindungen, für astronomische Beobachtungen ebenso wie zum Hochpumpen von Wein aus dem Keller … Leider wurde das zu den Sieben Wundern Jenas gezählte Gebäude 1898 abgerissen – aber man findet dieses höchstens Jahre vorher entstandene Foto derzeit gleich zweimal in Jena: einmal in der Ausstellung im Collegium Jenense – und in der neuen Sonderausstellung „Tierische Gefährten“ im Stadtmuseum. Denn im Vordergrund sind Zughunde mit einem Karren zu sehen, einer damals üblichen – und genau regulierten – Verwendung der Vierbeiner. [Daniel Fischer – noch mehr Bilder aus beiden Ausstellungen und alle Texttafeln sind in einem Jena-2022-Album hier bzw. hier enthalten, und mehr Jena-Astronomie wurde bereits hier und hier gezeigt, dito Himmelsgloben aus Wien]

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Astrojournalismus seit 1982

Veröffentlicht am 2. Juni 2022, in Uncategorized. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Ein Kommentar.

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