Fahrplan für Komet ISON auf 50° Nord

Die Sichtbedingungen für den sehnlich erwarteten Kometen verändern sich rund um sein Perihel in einem halben Jahr immer wieder auf’s Neue – ein Blick in 11 „Kapiteln“ auf die unterschiedlichen „Fenster“ für 50° Nord (und ungefähr gültig für den gesamten deutschen Sprachraum Europas), basierend meist auf dieser Tabelle, die gleich drei aktuelle Helligkeitsmodelle auflistet, von denen hier überwiegend das „mittlere“ zugrunde gelegt wird; zahlreiche Horizontgrafiken vom Kometen mit anderen Himmelsobjekten sind hier zu finden:

  • Anfang August bis Ende Oktober taucht der Komet nach Konjunktion mit der Sonne – minimale Elongation: 4.6° am 15. Juli – wieder am Morgenhimmel auf und ist ein teleskopisches Objekt, das von 13. auf vielleicht 8. Größe steigt. Eine akzeptable Höhe vor Beginn der Morgendämmerung wird Anfang September erreicht und steigt von dann 10 auf schließlich 30 Grad bis Ende Oktober, wenn die Sonnenelongation mit bis zu 53° maximal wird.

  • In den ersten zwei November-Wochen gehen die Elongation auf 38° und die Morgenhöhe bei Dämmerungsbeginn auf 12° zurück, während ISON von 7. auf 5. Größe steigt und ein Feldstecher-Objekt geworden sein sollte. Der Mond stört die gesamte Zeit nicht: Dies ist mithin das beste „normale“ Sichtfenster vor dem Perihel, mit dem Kometen akzeptabel hoch an dunklem Himmel. (Dass er am 3. November während der totalen Sonnenfinsternis am afrikanischen Totalitätshimmel sichtbar wird, ist reichlich unwahrscheinlich.)

  • Vom 15. bis 25. November stürzt die Elongation auf 14° ab, und der Komet tritt erst während der Morgendämmerung nennenswert über den Horizont – während gleichzeitig die Helligkeit vermutlich noch kaum heller als +2 mag. liegen dürfte: ISON ist damit ein schwieriges bis unmögliches Objekt, dessen erneutes Erscheinen am Himmel ganz von der Zunahme der Helligkeit bei Erreichen des sehr sonnennahen Perihels am 28. November abhängt. Und erst recht davon, ob und wann sich bereits vor dem Perihel ein substanzieller Staubschweif ausbildet.

  • Vom 26. bis 28. November sollte ISONs Helligkeit steil ansteigen und negativ werden, was ihn bei Sonnenaufgang auf dem Horizont sitzend erscheinen lassen könnte; ein eventueller flächenheller Staubschweif ginge schon vor der Koma, deren Sonnenenlongation von 11 auf 5° schrumpft, in der stärker werdenden Morgendämmerung auf. (Zugleich erreicht der Phasenwinkel mit 110° ein lokales Maximum, aber ob dies durch Vorwärtsstreuung Koma und Schweif nennenswert aufhellen kann, ist unklar.) Je nach Helligkeitsentwicklung und Himmelstransparenz mag ein Nachweis der Koma am Taghimmel mit technischen Tricks nicht ausgeschlossen sein.

  • Am 28. November tagsüber könnte es möglich sein, dass ISON mit der richtigen Technik am Taghimmel zu finden ist, während er auf sein Perihel um 19:35 MEZ zueilt: Dann steht er 1,9 Mio. km vom Sonnenzentrum entfernt und von der Erde aus 1/2° von der Sonnenmitte bzw 1/4° vom Sonnenrand entfernt, ist aber in Deutschland schon vor mehr als 3 Stunden untergegangen. Am deutschen Nachmittag betragen der Sonnenabstand noch 5 Mio.km und der Winkelabstand etwa 2°, am Vormittag sind es 7 Mio. km und 3°: Ob – und mit welchem technischen Aufwand und v.a. Sicherheits-Vorkehrungen – ISON mit vielleicht irgendwo zwischen -5 und -10 mag. dicht neben der Sonne nachgewiesen werden kann, ist völlig unklar. Bei anderen Kometen, zuletzt McNaught 2007, gelang so etwas alle paar Jahrzehnte einmal.

  • Am 29. November geht ISON zusammen mit der Sonne auf und steht am Vormittag erneut 3° und am Nachmittag 4° neben ihr – und am Abend noch 2° hoch, wenn die Sonne untergeht: Ab jetzt gibt es im Prinzip Sichtfenster vor Sonnenauf- und nach Sonnenuntergang, von denen das morgendliche aber noch bis in den Januar hinein das deutlich bessere bleibt. Die Komahelligkeit dürfte an diesem Tag die höchste sein, die in Europa zu erwarten ist, ein sehr spitzes Maximum, so dass der ganze Tag für – vorsichtige! – Sichtungsexperimente geeignet ist, dito die Morgen- und Abenddämmerung für eine Schweifsuche.

  • Am 30. November hat die Elongation 5° wieder überschritten, während die Komahelligkeit schon wieder gegen Null tendieren dürfte: Ab jetzt ist eher interessant, wie es nach dem Perihel um den Schweif ISONs und dessen Flächenhelligkeit und Länge bestellt ist. Bei Sonnenunter- und -aufgang steht der Komet heute jeweils 3° über dem Horizont, d.h. erneut sind beide Dämmerungen von einigem Interesse für mögliche Schweifsichtungen mit der Kometenkoma noch bzw. schon wieder unter dem Horizont, während mit einer Tagsichtbarkeit jetzt kaum noch zu rechnen ist.

  • Vom 1. bis 5. Dezember steigt die Elongation von 8 auf 18°, wärend ISON durch Skorpion und Ophiuchus zieht – nicht eben adventliche Sternbilder, aber die Sichtbedingungen v.a. morgens aber auch abends werden besser, während die Komahelligkeit von nullter auf 1. bis 2. Größe zurückgeht, der Staubschweif aber noch hell sein könnte: Dies könnte das beste Sichtfenster überhaupt werden, mit ISON als einem „zweiten West“. In den 5 Tagen steigt seine Höhe bei bei Beginn der bürgerlichen Dämmerung (Sonnendepression 6°) von 3 auf 11°, und am 5.12. steht ISON auch bei Beginn der nautischen (Depression 12°) schon 5° hoch. Während er an diesem Abend bei einer Sonnendepression von 6° immerhin noch 3° hoch steht. Auch der Phasenwinkel hat wieder zugenommen, auf 128 bis 123°: Vielleicht hilft auch das der Brillianz des Kometen.

  • Vom 6. bis 15. Dezember – die Elongation verbessert sich von 20 auf 43° – sollte ISON einfach zu finden aber nicht mehr spektakulär sein, da die Helligkeit der Koma auf etwa 4. Größe fällt. Dafür steht der Komet jetzt wieder vor Beginn der Morgendämmerung über dem Horizont, anfangs 2 und am Ende des Intervalls 23° hoch, und immer noch stört kein Mond. Die Morgenhöhe bei 12° Depression steigt von 7 auf 30°, und Abends steht ISON bei 6° Depression 3 bis 12° und bei 12° Depression zuletzt 5° hoch. Dunklerer Himmel v.a. vor Dämmerungsbeginn aber auch nach ihrem Ende könnte immer noch einen sehenswerten Schweif hervor bringen.

  • In der zweiten Dezemberhälfte gehen die Sichtbedingungen erheblich zurück, trotz ISONs immer besser Geometrie (Elongation 45 bis 93°, Höhe vor Dämmerungsbeginn 25 bis 56°, Höhe nach Dämmerungsende 1 bis 37°): Erst stört der Mond alle Dunkel-Fenster bis zum 20. Dezember, dann kann ihm zwar wegen der immer längeren nächtlichen Sichtbarkeit – ab etwa dem 23. Dezember wird ISON im Hercules zirkumpolar – immer aus dem Weg gegangen werden – aber die Kometenhelligkeit dürfte von 4. auf 6. Größe fallen: So wie PANSTARRS in den Monaten nach dem Perihel wird er jetzt (wieder) ein Objekt für Kometenspezialisten, die aber sicher noch viel aus ihm heraus holen können.

  • Im Januar 2014 liegt die Elongation über 100° (Maximum: 119° am 18.-21. Januar), ISON ist weiterhin zirkumpolar und – bald Abends besser als Morgens – am Ende bis zu 80° hoch an dunklem Himmel zu sehen. Nur leider mit einer Helligkeit, die den Monat hindurch auf die 8. bis 10. Größe absinken dürfte: Der Komet ist jetzt wieder ein teleskopisches Objekt – und man wird nun sicher wissen, ob 2013 wirklich das beste „Jahr der Kometen“ seit vielen Jahrzehnten geworden ist, zu dem es 2012 so mancher ausgerufen hatte, und ISON gar der „Komet des Jahrhunderts“ …

Noch bis in diesen Juni hinein kann ISON vor der Sonnenkonjunktion beobachtet werden, und die Lichtkurve seit Jahresbeginn macht zunehmend Kummer: Blind extrapoliert würde aus dem Kometen rein gar nichts mehr werden, aber eigentlich jeder rechnet damit, dass die Lichtkurve bald wieder anzieht. In einem Vierteljahr wird man vielleicht schon klarer sehen, wohin die Entwicklung der Komahelligkeit läuft, aber was der Schweif „vor hat“, wird sich wohl kaum vor November erweisen. PANSTARRS hat die moderaten Erwartungen an seine Helligkeit durchaus erfüllt, der Schweif aber blieb flächenschwach und kurz: Bei ISON werden wir zumindest mehr von der Seite auf ihn schauen, was allein bereits eine größere Show erhoffen lässt. Aber wie groß, das ist die Frage … [Daniel Fischer]

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Astrojournalismus seit 1982

Veröffentlicht am 22. Mai 2013 in Beobachtungshinweis und mit , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 5 Kommentare.

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